I See You – Gedanken zum Film FUTUR DREI

I See You – Gedanken zum Film FUTUR DREI

Wer sind wir? Wir sind diejenigen, die in erster oder zweiter Generation in Deutschland aufwachsen. Wir erzählen unsere Geschichten. Wir sind all diejenigen, die sich darin wiederfinden, aber auch diejenigen, die noch ganz andere Geschichten zu erzählen haben.

Wir werden gefragt, woher wir kommen. Wie lange wir schon hier sind. Unsere Geschichten und die unserer Eltern werden als solche von Migration erzählt. Inmitten von Formulierungen wie »Integrationskomödie« und »Familiendrama« werden sie reduziert: zu Pointen multikultureller Versöhnung oder romantischen Darstellungen einer bedrohten Heimat.

Im Jahr 2018 haben wir den Coming-of-Age-Film FUTUR DREI gedreht, der 2020 auf der Berlinale Premiere feierte. FUTUR DREI schildert die Begegnung von Parvis, Sohn zweier Exil-Iraner*innen, und dem iranischen Geschwisterpaar Banafshe und Amon. Parvis stellt sich Fragen zu Zugehörigkeit und Gemeinschaft, dazu, was seine familiäre Vergangenheit mit seiner Identität zu tun hat und wie sich die drei Freund*innen eine gemeinsame Zukunft vorstellen können. FUTUR DREI ist ein Film über Freund*innenschaft, über queere Liebe, über postmigrantische Lebensrealitäten.

Wir stellen Fragen. Setzen wir uns mit unseren Geschichten und ihrer filmischen Darstellung auseinander, müssen wir auch die Komplexe von Machtstruktur und Diskriminierung betrachten. Wer darf wessen Geschichten erzählen? Wer steht vor und wer hinter der Kamera? Wie möchten wir Schwarze Menschen und People of Color zeigen? Welche Narrative bedienen wir, mit welchen brechen wir? Wir bewegen uns, weil wir uns durch diese Fragen immer wieder neu verorten. Aus neuen Ideen und Ansätzen entstehen wieder neue Fragen, darunter einige, die uns noch über das Drehbuchschreiben, über die Gespräche zur Recherche, über den Castingprozess, über den Filmdreh und über den Kinostart hinaus begleiten.

Wir bewegen uns, weil wir im Gespräch bleiben müssen, weil es im Kulturbetrieb Diskurse über Rassismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit und weitere Diskriminierungsformen braucht. – Gedanken an den Film FUTUR DREI ist eine kritische Auseinandersetzung mit der filmischen Darstellung von queeren und postmigrantischen Lebensentwürfen in unserem Einwanderungsland.

Arpana Aischa Berndt und Raquel Molt präsentieren exemplarisch Stimmen derjenigen, die an der Entstehung des Films beteiligt waren, sowie solche von Aktivist*innen, Kulturschaffenden, Journalist*innen und Wissenschaftler*innen, die die Ideen und Gedanken zu und von FUTUR DREI weiterführen. Die beiden Herausgeberinnen arbeiten als Teil des JÜNGLINGE-Kollektivs, deren Mitglieder diesen Katalog redaktionell begleitet haben. Das Kernteam von JÜNGLINGE bilden Faraz Shariat als Regisseur, Produzent und Drehbuchautor, Paulina Lorenz als Drehbuchautorin und Produzentin und Raquel Molt als Casting Director und Teil der Produktion von FUTUR DREI.

I See You – als Parvis das zu Amon sagt, meint er: Ich sehe dich, dich mit deinen Kämpfen und deinen Zukunftsvorstellungen – und dich mit deinen noch offenen Fragen.